Dienstag, 21. April 2020

Hoch, höher, Bolivien

Ja, so hoch kommt man selten. Ein Land dass sich in weiten Teilen über 3.000 Metern befindet und unter anderem über das höchstgelegene kommerziell schiffbare Gewässer verfügt (den Titicacasee mit 3.812 m). Nach einem Monat Peru gelange ich über die Grenze von Kasani bei Puno nach Bolivien. Vorher noch ein letztes extra peruanisches Frühstück: Am Straßenstand gibt es herrlich warmes Qinua & Maca. Und dazu einige merkwürdige Blicke von den Einheimischen auf die einzige Weiße, die sich aus dem Busterminal auf die Straße traut und dann auch noch kauft und genießt was es da gibt.
Die Grenze überqueren mir mir zahlreiche Bolivianerinnen in traditioneller Kleidung. Wir müssen zu Fuß gehen und unsere Stempel einsammeln. Auf der einen Seite der Schranke gibt es knallbunte Plastikdosen, Klopapier und ähnliches in rauen Mengen. Von der anderen Seite klettern bunt gekleidete Menschen über die Absperrkette, die die Grenze markiert. Ein herrliches Farbschauspiel. Eine Bäuerin zieht ihre Alpakas hinter sich her.




An der Copacabana, direkt am Titicacasee, strahlt die Sonne. Doch es ist kalt! Auf knapp 4.000 m Höhe täuscht das Wetter. Im Ort findet die legendäre Autotaufe statt. Bolivianer aus dem ganzen Land versammeln sich hier täglich vor der Kathedrale und schmücken ihre Autos mit Blumen um sie dann segnen zu lassen. Frei nach dem Motto - ich kann fahren wie ich will, Gott hält seine schützende Hand über mich. Und dieses Gottvertrauen merkt man auf den Straßen Boliviens! Für "Ungläubige" ein amüsantes Ritual wenn pünktlich um 13 Uhr die Priester aus der Kirche treten und ca. 30 versammelte Autos segnen. Auf dem Markt von Copacabana stoße ich auf ein interessantes Getränk: Malzbier mit Eischnee. Das genaue Rezept ist leider unauffindbar. Doch das kulinarische Highlight der Copacabana gibt es um ca. 2,50 € am Hafen: Frische Forelle mit Salat und Patacones an den zahlreichen Hafenrestaurants!



Zweimal täglich fahren Boote über den See zur Isla del Sol, viele Anbieter, ein Preis. Der Besuch ist absolut lohnenswert! Die Isla del Sol ist eine wichtige Stätte der Inkakultur, autofrei, gesäumt von steinigen Pfaden, voller Esel & Ruinen und leider auch geprägt von einem politischen Konflikt zwischen Süd- und Nordteil. Leider ist deswegen nur eine Hälfte der Insel zu besuchen. Ein erster Eindruck der bolivianischen Streitfreudigkeit, die leider meinen ganzen Aufenthalt in diesem wunderbaren Land prägt. Ich freue mich während einem Tag auf der Insel besonders über den Duft des Eukalyptuswaldes.Kurz gehe ich sogar schwimmen, soll ja keiner sagen ich wäre nicht IM Titicacasee gewesen. Es ist  kalt, aber herrlich!

Während der Tage an der Copacabana findet die Präsidentenwahl in Bolivien statt, wie sich herausstellt ein ungünstiger Zeitpunkt um das Land zu bereisen. Erste Proteste schränken die Bewegungsfreiheit ein. Ich reise weiter nach La Paz, der Hauptstadt. Dort wird demonstriert, einige Straßenzüge und Sehenswürdigkeiten sind bereits gesperrt. Vom gemütlichen Wooden Wasi Hostel erkunde ich die Stadt soweit wie möglich. Die Bevölkerung ist sehr unruhig. Das Stadtzentrum rund um die Sagarnaga Street kann man besichtigen. Hier reihen sich die Touranbieter aneinander, daneben Souvenirshops mit Strickwaren und Silberschmuck.
Das Stadtzentrum ist verwinkelt, voller Street Art und Straßenmärkten mit buntestem Treiben. Der Mercado Roriguez hat mir als Lebensmittelmarkt am besten gefallen, authentisches Treiben, wenig Souvenirs stattdessen frische Früchte! Der Mercado de las Brujas ist völlig überbewertet und inzwischen ein reiner Touristenshop. Ein Blick in das alte La Paz gewährt die Calle Jaen, eine komplett erhaltene uralte Gasse mit schönen Galerien, Museen und Cafés. Nebenan finde ich einen Weinladen - kennt jemand bolivianischen Wein? Der Inhaber stammt von einem Weingut aus dem Süden Boliviens und erklärt mir die Besonderheiten des lokalen Weinbaus.

Im Hostel erzählt mir jemand vom Huayna Potosi, angeblich einem der leichtesten 6.000er Gipfel weltweit. Nunja, so gut akklimatisiert bin ich wohl nie wieder. Also rauf auf den Berg denke ich mir. Spontan buche ich bei AllTransport (sehr zu empfehlen) meine Bergtour für den nächsten Tag. Ausrüstung und der unglaublich allwissende, professionelle Guide Theo inklusive. Und gleich vorweg - wegen der extrem guten Erfahrung buche ich auch alle weiteren Ausflüge in Bolivien über AllTransport und meine persönliche Lieblingsansprechpartnerin Lourdes.


Gute Vorbereitung ist alles, am Vortag der Bergtour geht es zur Anprobe des Ausrüstung. Skianzug, Fleecejacke, Handschuhe, Mütze, Bergstiefel, Steigeisen, Gamaschen, Helm, Eispickel, Klettergurt. All das will am nächsten Tag auf den Berg getragen werden (in meinem Rucksack und dazu noch Schlafsack und Proviant). Die Qualität der Ausrüstung ist sehr gut, ein wichtiges Kriterium für die Auswahl des Anbieters. Denn davon hängt die Sicherheit bei solchen Bergtouren in großem Maß ab.
Früh am nächsten Morgen dann: Aufbruch in die Berge. Ich bin allein mit Guide Theo und dem Fahrer. Ca. 3 Stunden fahren wir zum Basecamp, wieder einmal durch begeisternde Natur. Dort ein lustiges Wiedersehen. Ein Mitwanderer aus Peru kommt eben von seinem Versuch der Bergtour zurück. Schlechte Neuigkeiten, er hat es nicht geschafft und erzählt, dass aus seiner Gruppe von 10 Personen lediglich 2 am Gipfel angekommen sind. Und ich soll das Schaffen?
Am Basecamp warten auf die 2. Teilnehmerin unserer Tour. Sie kommt dann doch nicht, hat es sich doch nicht zugetraut.
Wir starten also allein mit dem ersten Aufstieg zu unserem Camp für die Nacht. 3-4 Stunden geht es über Geröll steil bergan, dort unsere Hütte und dieser Blick.


Theo benennt alle Berge, er kocht Abendessen und ich haben Zeit meine Ausrüstung zu sortieren. Waschen ist nicht - das Wasserfass ist gefroren. Allein in der Hütte (die aus dünnen Plastik- und Holzbrettern besteht) mit Schlafplätzen für 10, ein ruhiger Abend mit Erzählungen von Theos Erlebnissen am Berg. Es ist eiskalt, ein heulender Wind weht. Wir sind auf 5.200m, die Luft ist sehr dünn. Ich versuche zu schlafen, denn bereits um 1 Uhr morgens werden wir losgehen.
Doch mit Luftmangel und Kälte ist an Schlaf nicht zu denken. Ein paar Stunden dösen, dann ein paar Kekse und Tee (ein Frühstück wäre vor der Wanderung zu viel zu verdauen). Ausrüstung an, Stirnlampe an. Die Seilschaft steht. Ca. 3m Seil verbinden uns und schützen hoffentlich vor dem Absturz in eine der Eisspalten am Berg.
Wir laufen - und laufen durch die Nacht. Ein Schritt vor den anderen, ab und zu sieht man in weiter Ferne Lichter - La Paz. Meist ist es dicht bewölkt.
Volle Konzentration auf den nächsten Schritt, das nächste Luftholen. Ab und zu eine kurze Pause für ein paar Schluck Tee. Wir begegnen anderen Gruppen, alle haben das gleiche Ziel. Ca. 20 Personen haben sich heute aufgemacht.
Die Luft wird immer dünner, Kopfschmerzen und Schlafmangel machen es nicht einfacher. Ebensowenig der tiefe Schnee. An einigen steilen Stellen klettern wir überfrorene Felswände hoch, ohne Eispickel und Steigeisen keine Chance. 5 Stunden sind wir unterwegs zum Gipfel. Ab der zweiten Hälfte ein eisiger Schneesturm. Der Rythmus ist ungefähr 10 Schritte laufen - Pause - 10 Schritte laufen.
Aber: Zum Anbruch des Tages sind wir oben! 6.088 m. Leider wird das Erlebnis nicht vom Ausblick gekrönt, die Sichweite im Schneesturm beträgt ca. 2m. Doch der Gipfel ist bezwungen.
Und mein Rat: Traut euch! Es lohnt sich, ob mit oder ohne Blick!

Der Abstieg dauert weitere 3 Stunden. Unten scheint die Sonne, es gibt Frühstück. Dann packen wir zusammen und mit großem Gepäck folgt Teil zwei des Abstiegs, nochmal 2 Stunden zurück zum Ausgangspunkt. Wieder im Hostel habe ich wohl selten so gut geschlafen!

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